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EU Chatkontrolle: Ein Update

Vor genau zwei Jahren haben wir den Plan des Europäischen Rates erörtert, ein Gesetz einzuführen, welches Messaging-Plattformen verpflichten würden, die Nachrichten und freigegebenen Inhalte von Nutzer:innen auf Inhalte zu überprüfen, die Kindern schaden könnten. In unserem Blogbeitrag erklärten wir die weitreichenden Auswirkungen, die eine solche Maßnahme auf alle Personen in der Europäischen Union, deren Privatsphäre und das Konzept der Verschlüsselung im Allgemeinen haben könnte. Kritiker:innen der geplanten Gesetzgebung wiesen auch darauf hin, dass eine umfassende Überwachung aller Bürger:innen kaum zum Schutz von Kindern beitragen und entsprechende Straftaten nicht wirklich eindämmen würde.

Wir möchten nicht noch einmal auf das gesamte Konzept der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften und ihre verschiedenen Fallstricke eingehen, da wir dies bereits in der Vergangenheit getan haben. Allerdings kam im vergangenen Monat neue Bewegung in die Debatte. Tatsächlich stand die Abstimmung über die Gesetzgebung erst vor wenigen Wochen auf der Tagesordnung des Europäischen Rates. Wir wollen also ein kleines und hoffentlich letztes Update in dieser Angelegenheit geben.

Ein echter Kompromiss?

Anfang dieses Jahres hat die belgische Ratspräsidentschaft einen Kompromissvorschlag vorgelegt, um die letzten Länder zu überzeugen, die dem Gesetzentwurf noch kritisch gegenüber standen. Der Entwurf sah nun ein „freiwilliges Scannen auf dem Gerät“ vor, d. h. die Nutzer:innen müssten der Maßnahme einzeln zustimmen. Ohne diese Zustimmung wäre es den Nutzenden jedoch nicht möglich, Bilder, Videos, Links zu Websites oder andere nicht textliche Nachrichten zu versenden. Eine „starke Einschränkung des Dienstes“, was wiederum bedeuten würde, dass „[v]on Freiwilligkeit […] hier keine Rede sein [kann]“, wie der Chaos-Computer-Club schreibt. [1, 2, 3, 4]

Die European Digital Rights Group (EDRi) stellt fest, dass eine erzwungene Zustimmung zur Überwachung mit potenziell „fehlerhaften KI-basierten Scans“ kein ausreichender Kompromiss sei. Während der neue Vorschlag behauptet, dass die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (E2EE) nicht von den Maßnahmen betroffen wäre, erklären Kritiker:innen, dass das Scannen auf dem Gerät das Ende der privaten digitalen Kommunikation bedeuten würde. [2]

Einen Moment lang sah es so aus, als könnte die Überzeugungstaktik aufgehen. Einige Länder, die sich zuvor gegen den Gesetzentwurf ausgesprochen hatten, gaben an, dass sie zustimmen könnten, wenn E2EE tatsächlich nicht beeinträchtigt würde, wie z. B. Frankreich und andere. [3, 4, 5, 6]

Gleichzeitig empfahlen die Initiator:innen des Gesetzesentwurfs, die Rechtsvorschriften zunächst für besonders sicherheitsrelevante Dienste durchzusetzen. Als Reaktion darauf haben viele dieser Dienste Erklärungen zur aktuellen Debatte veröffentlicht, in denen sie den Vorschlag des EU-Rates verurteilen. Die auf Sicherheit fokussierte Messaging-App Signal schreibt, dass „es keine Möglichkeit gibt, solche Vorschläge im Zusammenhang mit Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation umzusetzen, ohne die Verschlüsselung grundlegend zu untergraben und eine gefährliche Schwachstelle in der Kerninfrastruktur zu schaffen, die globale Auswirkungen weit über Europa hinaus hätte“. [4, 7, 8]

Es ist erwähnenswert, dass die Gesetzgebung zur Chat-Kontrolle nicht nur wegen des offensichtlichen Paradoxons kritisiert wird, dass das Scannen von Inhalten auf Verstöße bei gleichzeitiger Wahrung einer sicheren und privaten Kommunikation auf technischer Ebene einfach nicht möglich ist, sondern auch aus rechtlichen Gründen. Bereits im Jahr 2023 hat der juristische Dienst der EU-Mitgliedsstaaten den Vorschlag als rechtswidrig eingestuft, da es sich um eine scheinbar grundlose Massenüberwachung handelt. Je weiter die Diskussion voranschritt, desto mehr Stimmen erhoben den Vorwurf, dass es bei dieser Gesetzgebung gar nicht um Kinderschutz, sondern vielmehr um Kontrolle und staatliche Überwachung gehe. [5, 9]

Für oder Gegen Chatkontrolle?

An old-time scale in perfect balance.

Der Europäische Rat hat die Abstimmung für den 20. Juni, also erst vor wenigen Tagen, auf die Tagesordnung gesetzt. [10]

In den vergangenen Monaten haben Journalist:innen, Aktivisti, Politiker:innen und die Branche der datenschutz- und sicherheitsfokusierten Messagingdienste Druck auf die Politik ausgeübt, den Vorschlag zur Chat-Kontrolle abzulehnen. Unzählige Grundrechtsorganisationen veröffentlichten Mitteilungen über den Vorschlag, informierten die Öffentlichkeit oder riefen zu direkten Aktionen auf. FOSS-bezogene Unternehmen in der ganzen EU, wie Element, Nextcloud, Tuta, Proton und andere, äußerten ihre Bedenken in einem offenen Brief und auf Firmenblogs. Bürger:innen schrieben ihren Abgeordneten im Europäischen Parlament oder ihren nationalen Regierungen, um sich gegen den Gesetzentwurf auszusprechen. [10, 11, 12]

Aufgrund der Kritik erklärten immer mehr Mitgliedstaaten, dass sie gegen den Gesetzentwurf stimmen würden. Das deutsche Innenministerium veröffentlichte eine Erklärung, in der es ein positives Votum zu dem Vorschlag klar ablehnte [12, 13, 14]:

“Die sogenannte Chatkontrolle lehnen wir ab. Deutschland wird im Rat deshalb mit Nein stimmen, wenn es beim aktuellen Vorschlag bleibt. Denn wir müssen gezielt handeln und die rechtsstaatliche Balance halten. Verschlüsselte private Kommunikation von Millionen Menschen darf nicht anlasslos kontrolliert werden. Darin sind wir uns in der Bundesregierung seit langem einig. Auch im Europäischen Parlament gibt es daran breite Kritik.”

Daraufhin hat der Rat das Thema kurzfristig wieder von der Tagesordnung abgesetzt, da die erforderliche Anzahl von Ja-Stimmen nicht erreicht werden konnte. Journalist:innen merken an, dass dies kein endgültiges Aus für die Chat-Kontroll-Gesetzgebung ist, aber das Risiko, dass sie verabschiedet wird, sei nicht mehr unmittelbar gegeben. [15, 16, 17, 18]

Unsere Haltung

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Wir stimmen den bereits veröffentlichten Erklärungen anderer FOSS-bezogener Unternehmen sowie dem offenen Brief von 36 Mitgliedern des Europäischen Parlaments voll und ganz zu. Die Massenüberwachung von Bürger:innen kann niemals die Lösung zur Verbrechensbekämpfung sein, da sie das Vertrauen untergräbt und ein bedrohliches Gefühl der Überwachung und einen beständigen „chilling Effekt“ erzeugt. Dies würde sich auf Journalismus, Wissenschaft, Aktivismus und selbstverständlich auf das tägliche Leben aller Menschen sowie auf viele andere Aspekte des Lebens in der Europäischen Union und potenziell in der ganzen Welt auswirken. Es würde auch autoritären Regierungen mächtige Instrumente zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in die Hand geben. Dies ist vor dem Hintergrund des anhaltenden Rechtsrucks in der europäischen und globalen Gesellschaft besonders besorgniserregend.

Angesichts des massiven öffentlichen Widerstands gegen die Gesetzgebung zur Chat-Kontrolle sind wir zuversichtlich für die Zukunft der privaten und sicheren Kommunikation in Europa.

Quellen

  1. Neumann, L. (2024): Chatkontrolle: Kuhhandel, während niemand hinschaut. URL: https://www.ccc.de/de/updates/2024/chatkontrolle-kuhhandel-wahrend-niemand-hinschaut
  2. EDRi (2024): Be scanned – or get banned! URL: https://edri.org/our-work/be-scanned-or-get-banned/
  3. Meister, A. (2024): Belgien will Nutzer verpflichten, Chatkontrolle zuzustimmen. URL: https://netzpolitik.org/2024/internes-protokoll-belgien-will-nutzer-verpflichten-chatkontrolle-zuzustimmen/
  4. Steiner, F. (2024): CSA-Verordnung: Rat der EU vor Abstimmung über „freiwillige“ Chatkontrolle. URL: https://www.heise.de/hintergrund/CSA-Verordnung-Rat-der-EU-vor-Abstimmung-ueber-freiwillige-Chatkontrolle-9768376.html
  5. Reuter, M. (2024): Frankreich will Chatkontrolle zustimmen, wenn Verschlüsselung nicht geschwächt wird. URL: https://netzpolitik.org/2024/ratsverhandlungen-frankreich-will-chatkontrolle-zustimmen-wenn-verschluesselung-nicht-geschwaecht-wird/
  6. Reuter, M.& Meister, A. (2024): Frankreich wackelt in der Ablehnung der Chatkontrolle. URL: https://netzpolitik.org/2024/anlasslose-massenueberwachung-frankreich-wackelt-in-der-ablehnung-der-chatkontrolle/
  7. Biselli, A. & Meister, A. (2024): Sichere Dienste sollen als erste Chatkontrolle einführen. URL: https://netzpolitik.org/2024/belgischer-vorschlag-sichere-dienste-sollen-als-erste-chatkontrolle-einfuehren/
  8. Whittaker, M. (2024): New Branding, Same Scanning: “Upload Moderation” Undermines End-to-End Encryption. URL: https://signal.org/blog/pdfs/upload-moderation.pdf
  9. Reuter, M. (2024): Die Chatkontrolle ist Überwachungsstaat pur. URL: https://netzpolitik.org/2024/client-side-scanning-die-chatkontrolle-ist-ueberwachungsstaat-pur/
  10. Reuter, M. (2024): Abgeordnete warnen vor „Blaupause für autoritäre Staaten“. URL: https://netzpolitik.org/2024/chatkontrolle-abgeordnete-warnen-vor-blaupause-fuer-autoritaere-staaten/
  11. Koch, M. C. (2024): Chatkontrolle: Kritiker warnen vor Kompromissvorschlag, Abstimmung verschoben. URL: https://www.heise.de/news/Chatkontrolle-Kritiker-warnen-vor-Kompromissvorschlag-Abstimmung-verschoben-9770405.html
  12. Reuter, M. & Leisegang, D. (2024): Deutschland will Chatkontrolle im Rat nicht zustimmen – aber ist das ein „Nein“? URL: https://netzpolitik.org/2024/massenueberwachung-deutschland-will-chatkontrolle-im-rat-nicht-zustimmen-aber-ist-das-ein-nein/
  13. Steiner, F. (2024): Chatkontrolle: Deutschland wird gegen aktuellen Vorschlag stimmen. URL: https://www.heise.de/news/Chatkontrolle-Deutschland-wird-gegen-aktuellen-Vorschlag-stimmen-9770046.html
  14. Meister, A. (2024): Deutschland stimmt gegen Chatkontrolle. URL: https://netzpolitik.org/2024/interne-dHeute feiern, morgen weiter kämpfen
  15. okumente-deutschland-stimmt-gegen-chatkontrolle/
  16. Steiner, F. (2024): EU: Abstimmung über Chatkontrolle von Tagesordnung gestrichen. URL: https://www.heise.de/news/EU-Abstimmung-ueber-Chatkontrolle-von-Tagesordnung-gestrichen-9770944.html
  17. Koch, M. C. (2024): Chatkontrolle: Kritiker warnen vor Kompromissvorschlag, Abstimmung verschoben. URL: https://www.heise.de/news/Chatkontrolle-Kritiker-warnen-vor-Kompromissvorschlag-Abstimmung-verschoben-9770405.html
  18. Meister, A. & Henning, M. (2024): Belgien scheitert mit Abstimmung zur Chatkontrolle. URL: https://netzpolitik.org/2024/etappensieg-belgien-scheitert-mit-abstimmung-zur-chatkontrolle/
  19. Meister, A. & Henning, M. (2024): Heute feiern, morgen weiter kämpfen. URL: https://netzpolitik.org/2024/reaktionen-zur-chatkontrolle-heute-feiern-morgen-weiter-kaempfen/
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Jan ist Mitgründer von ViOffice. Er kümmert sich insbesondere um die technische Umsetzung und Wartung der Software. Seine Interessen liegen insbesondere in den Themengebieten Sicherheit, Datenschutz und Verschlüsselung.

Neben seinem Studium der Volkswirtschaftslehre, später der angewandten Statistik und seiner daran anknüpfenden Promotion, hat er jahrelange Erfahrung im Bereich Softwareentwicklung, Opensource und Serveradministration.